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Bericht von der KLAK-Jahrestagung 17.-20.01.2014 in Berlin zum Thema
„Nahostkonflikt“
Vom 17. bis 20.01.2014 fand in Berlin die Jahrestagung der Konferenz
landeskirchlicher Arbeitskreise „Christen und Juden“ (KLAK,
www.klak.org) statt. Die Delegierten hatten beschlossen, sich mit dem
Nahostkonflikt zu befassen. Dazu wurden drei Hauptreferate und
Gespräche mit Angehörigen der israelischen und der palästinensischen
Botschaft organisiert. Eine Exkursion am Schlusstag führte ins Berliner
Büro des American Jewish Committee. Im Folgenden werden die Vorträge
zum Thema Nahostkonflikt kurz zusammengefasst, die Beiträge der
beiden Diplomaten werden ausführlicher dargestellt.
Yariv Lapid: Zur aktuellen Lage Israels im Nahen Osten
Yariv Lapid ist Historiker. Er publizierte ein Buch über die Gegenwart der
Schoa in Israel und Deutschland. Er arbeitet in der KZ-Gedenkstätte
Mauthausen und im Center for Humanistic Education im Kibbuz Lochamei
Hagetaot, dem Kibbuz der Ghettokämpfer nahe Akko.
Yariv Lapid geht von folgender Feststellung aus: In den Augen der Welt
sei Israel der gefährlichste Staat, die israelische Politik werde entweder
als Überlebenskampf oder als rassistisch motiviert beurteilt. - Rassismus,
so der Referent, sei kein ursprüngliches politisches Motiv des Zionismus,
aber aus Angst nehme das Risiko dazu zu. Die Zionisten brachten
europäische „Codes“ mit, die denen des Nationalsozialismus, der
Apartheid oder der US-Südstaaten unähnlich waren. Dann fragt der
Referent: Welche Kräfte treiben die israelische Politik? Seine Antwort:
Enttäuschung und Misstrauen gegen die anderen Völker. Die meisten
Israelis, so Lapid, suchten eine friedliche Lösung. Die Siedlerbewegung
Gusch Emunim sei eher rassistisch, aber nicht aus Ideologie, sondern aus
Angst. Die Ambivalenz in den Beziehungen Israels zu den Völkern sei
uralt und von Abraham bis in die Gegenwart feststellbar. (…)
Enttäuschung und Misstrauen beruhten auf Gewalterfahrung, so laute die
Logik des Zionismus. Die Schoa, so der Vortragende, sei ein Mosaikstein
in dieser Weltsicht: „Wir können uns nur auf uns selbst verlassen, wir
können niemandem vertrauen, wir sind allein.“ Diese Erfahrung habe sich
im Jom-Kippur-Krieg wiederholt, als kein einziger europäischer Staat den
US-Flugzeugen mit dringendst benötigtem Nachschub für Israel die
Zwischenlandung genehmigte. Ist es realistisch zu erwarten, dass diese
Gesellschaft den Weg zum Frieden gehen will? fragt Lapid, und er fragt
zugleich: Wir würden Europäer unter solcher Anspannung reagieren?
Würden sie ebenso auf Gewalt verzichten, wie sie es von Israel erwarten?
Tamar Amar-Dahl: Das zionistische Israel und der Nahostkonflikt
Tamar Amar-Dahl ist Historikerin. Sie stammt aus Israel, wo sie mit einer
Arbeit über Shimon Peres promoviert hat. Sie hat ihren israelischen Pass
zurückgegeben und lebt in Deutschland.
Die zentrale These des Vortrags lautet, dass zwei Mythen, auf denen
Israel basiere, nämlich „Erez Jisrael“ (Land Israel) und „Bitachon“
(Sicherheit), zusammen mit einer konfliktträchtigen Ordnung
festgehalten und einer politischen Konfliktlösung im Weg stehen würden.
Die Bedenken über die Zukunft des zionistischen Israel würden lauter.
Ziel des Vortrags sei Ideologiekritik und es gehe um eine Analyse, nicht
um Lösungen. (…) Unsicherheit und Angst führten zu Abwarten und Sich
verschanzen. Der Nahostkonflikt bleibe der Preis für die israelische
Nationalstaatlichkeit.
Stefan Oeter: Der israelisch-palästinensische Konflikt im Licht des
internationalen Rechts
Dr. Stefan Oeter ist Juraprofessor am Institut für internationale
Angelegenheiten der Universität Hamburg. Er kooperiert u. a. mit
israelischen Wissenschaftlern und ist häufig in Israel.
Der Referent stellt in seinem Vortrag nach eigener Aussage die Sicht des
juristischen Mainstreams dar. Israels Existenzrecht sei völkerrechtlich
geklärt. Der Nahostkonflikt stelle das Völkerrecht vor enorme
Herausforderungen. In vielen Grundfragen seien die Konfliktparteien bis
heute zutiefst zerstritten. Gestritten werde vor allem um Territorialfragen
und Territorialstatusfragen. Diese hätten historische Tiefendimensionen.
(…) Nur eine Option sei realistisch, nämlich die Fortsetzung des in Oslo
begonnenen politischen Verhandlungsprozesses mit dem Ziel zweier
Staaten, deren Verhältnis zueinander vertraglich geregelt ist.
Emanuel Nahshon: Analyse des Nahostkonflikts – was sollen die Kirchen
in Deutschland tun?
Emanuel Nahshon ist Berufsdiplomat und seit 2009 stellvertretender
israelischer Botschafter in Deutschland in der weltweit zweitgrößten
israelischen Botschaft in Berlin.
Der Dienst in Deutschland sei für einen israelischen Diplomaten kein
normaler Teil seiner Arbeit, so Emanuel Nahshon. Er führe hier einen
Dialog, einen Teil davon mit der Kirche. Die Kontakte zur EKD seien sehr
gut. Eine Mischung von Religion und Politik könne sehr schrecklich oder
aber sehr interessant sein. Die Themen seien sehr wichtig: Ethik und
religiöse Doktrinen, Reformationsjubiläum und kritisches Lutherbild, das
Verhältnis der beiden Testamente zueinander, Fragen der NS- bzw.
Kriegszeit. Besonders arbeite er am Thema der „Gerechten unter den
Völkern“ und erinnere besonders an Elisabeth Schmitz. Alle diese Fragen
verstehe er als gemeinsame Herausforderungen – „wir machen viel“ und
könnten noch mehr machen, etwa zu den Fragen: Was tue ich, wenn ich
Unrecht sehe? Gibt es Versöhnung, Erlösung? Wie sehen das Christen,
wie Juden? Eine weitere Herausforderung sei, dass viele junge Leute
keine Verbindung zur Religion hätten, aber ethische und philosophische
Fragen diskutieren wollten. Ein weiterer Aspekt im Dialog sei der
Nahostkonflikt. Deutsche fragten: Darf ich Israel kritisieren. Nahshons
Antwort: „Ja, denn wir sind Freunde. Solange Kritik nicht das Herz
unserer Beziehung ist.“ Israel sei auch kritisch gegenüber Deutschland.
In Israel finde man es skandalös, dass die NPD nicht verboten werde.
Darüber führe er deutliche Gespräche mit Bundestagsabgeordneten. Und
er höre viel Kritik über Israel: Siedlungen, Mauer. „‘Siedlung‘ war mein
erstes deutsches Wort.“ Wichtig sei auch das Thema Christen in Nahost.
Auch der direkte Kontakt mit palästinensischen Diplomaten sei kein
Problem. Viele wollten Frieden, die beste Lösung seien zwei Staaten. Bis
dahin gebe es viele Hindernisse. Das größte Problem sei der Mangel an
Vertrauen. Der Konflikt sei älter als 1967, älter als die Siedlungen. Der
Kern sei die Anerkennungsfrage Israels als Staat des jüdischen Volkes. Er
bezweifle, dass ein Vertrag jetzt das Ende des Konflikts bedeuten würde.
Für Palästinenser sei der Konflikt ein Lebensraumproblem. Das Prinzip
des Austauschs von Territorien werde von beiden Seiten akzeptiert.
Weiter müsse es um den Status Jerusalems und um die Flüchtlinge
gehen. Seit drei Jahren gebe es Unruhe in Nahost. Man habe den
arabischen Frühling zu naiv und zu optimistisch gesehen, jetzt sei er ein
Winter. Nahost sei nicht Osteuropa, sondern sehr kompliziert. Paradox
sei, dass seither der Dialog mit den Palästinensern einfacher geworden
sei. Der Druck anderer habe nachgelassen. Jetzt sei Zeit für positive
Prozesse. Und es sei klar geworden, dass der israelisch-palästinensische
Konflikt mit den anderen Konflikten in der Region nichts zu tun habe. US-
Außenminister Kerry mache sehr diskret eine wichtige Arbeit. In Israel sei
die Regierung kompliziert, eine Koalition aus vielen Parteien. Auch die
Teilung der Palästinenser in Gaza und Westbank sei kompliziert. Unklar
sei, ob Präsident Abbas Frieden wolle oder nicht. Israel wolle Frieden
erreichen: durch einen Kompromiss bei der Landfrage und bei den
Träumen und Weltanschauungen. Hebron und Bethlehem werden
palästinensisch sein, das sei nicht einfach für Juden. „Gut, dass kein
Krieg ist!“ Die Intifada sei vorbei. Die Mauer sei nicht die Berliner Mauer,
sondern ein Hindernis für den Terror und sehr großer Erfolg, da es
jahrelang keine Opfer mehr gegeben habe. Seit der Intifada (2000-2005)
vermisse Israel den palästinensischen Friedenspartner. Es gebe sehr
wenig Vertrauen. Die Intifada sei ein großer Fehler und für die
Palästinenser eine große Katastrophe gewesen. Seither gebe es wegen
des Terrorabwehrzauns keine Alltagskontakte mehr. Besuche, sogar bei
Freunden, seien nicht mehr möglich. Viele junge Leute hätten die
anderen noch nie gesehen. Das sei keine gute Basis für einen Dialog.
Freunde könnten hier eine wichtige Rolle spielen, Kirchen könnten z. B.
Plattformen für Treffen zwischen jungen Israelis und Palästinensern
bieten. „Warum machen Sie’s nicht?“
Im Gespräch äußert sich der Diplomat zur demografischen Frage: In
Israel leben 6 Millionen Juden und 2 Millionen muslimische und christliche
Araber. In der Westbank und in Gaza leben schätzungsweise 3 Millionen
Palästinenser, zusammen mit den israelischen sind das rund 5 Millionen.
In Zukunft könnte es im Land eine nichtjüdische Mehrheit geben. Ein bi-
nationaler Staat sei nicht im israelischen Interesse, auch nicht im
palästinensischen. Israel wolle nicht länger Besatzer sein und wolle die
eroberten Gebiete nicht annektieren. Frieden könne, wie zuvor im Sinai
und in Gaza, zum Abbau von Siedlungen führen. Der Terrorabwehrzaun
sei keine Grenze und sein Verlauf kein politisches Statement. „Ich wäre
froh den Zaun abzubauen.“ Der Nahostkonflikt sei nicht „Gut gegen
Böse“, sondern beide Seiten hätten Recht. Ein Vertrag müsse Frieden
bringen, sonst sei das Risiko für Israel zu groß.
Khouloud Daibes: Analyse des Nahostkonflikts – was sollen die Kirchen
in Deutschland tun?
Dr. Khouloud Daibes ist palästinensische Botschafterin in Deutschland.
Sie ist Christin, war Schülerin in Talita Kumi, ist Architektin und war
palästinensische Ministerin für Tourismus und Altertümer (2007-2012)
und Frauen (2007-2009).
Der Nahostkonflikt, so die Botschafterin, sei komplex, asymmetrisch und
von außen kaum mehr verstehbar. Er sei mit viel Leid auf beiden Seiten
verbunden. Die Lösung müsse in zwei Staaten bestehen. Dazu fehle der
politische Wille. Eine politische Lösung sei die einzige Perspektive. Jedoch
laufe die Zeit dafür davon. Vielen erscheine es bereits zu spät und fast
unrealistisch wegen des Siedlungsbaus und anderer Maßnahmen der
israelischen Besatzung. Verhandlungen seien im Gang, eine Lösung
zeichne sich gleichwohl nicht ab. Der Nahostkonflikt sei kein religiöser,
sondern ein politischer Konflikt. Allerdings bestehe das Risiko religiöser
Eskalation, da Religion ein wichtiger Faktor und eine emotionale Kraft sei.
Seit zwanzig Jahren werde verhandelt, doch seien Verhandlungen immer
wieder gescheitert wegen der Forderungen auf immer mehr Kompromisse
und Verzicht. Schon 1988 hätten die Palästinenser beschlossen, dass es
zwei Staaten in den Grenzen von 1967 mit Jerusalem als Hauptstadt
Palästinas geben müsse. Auch gegenwärtig werde von den Palästinensern
zu viel verlangt. Rechte seien aber nicht verhandelbar, nur Modalitäten.
Daher habe sie keine Hoffnung auf eine absehbare Lösung. Große Teile
der Verhandlungen geschähen im Geheimen. Was, wenn sie scheitern?
Die Kirchen in Palästina nähmen in verschiedenen Bereichen wichtige
Rollen für das Volk ein. Sie trügen ihre Stimme der Hoffnung in einer
hoffnungslosen Situation nach außen. Sie setzten sich dafür ein im Land
zu bleiben. Ob die Kirchen eine Vermittlerrolle einnähmen? Christen
machten die palästinensische Gesellschaft reicher und toleranter,
während die islamische und die israelische Gesellschaft konservativer
würden. Vielleicht könne die Kirche eine Vermittlerrolle zwischen dem
Orient und dem Westen übernehmen. Die politische Führung sei sich
bewusst, wie wichtig die christliche Präsenz in Palästina ist. Christen
seien zahlenmäßig eine kleine Minderheit, dennoch nähmen sie eine
bedeutende Rolle ein. In allen politischen Strukturen seien sie
überrepräsentiert, teils aufgrund von Quoten, teils aufgrund
ungeschriebener Vereinbarungen. Sie seien auch in Ausschüssen
vertreten, die direkten Zugang zu Präsidenten haben. Christen
verstünden ihre Präsenz im Land nicht als Zufall, sondern als Berufung
und Aufgabe.
Die Kirchen in Deutschland bräuchten mehr Mut zu konkreten Schritten.
Die nahöstlichen Spannungen führten in Deutschland zu Unsicherheit.
Angesichts der Perspektivlosigkeit des Konflikts reichten materielle und
humanitäre Hilfen nicht aus. Man solle auch nicht nur über den Konflikt
reden ohne etwas zu seiner Lösung zu tun. Auch beten allein reiche nicht.
Menschenrechtsverletzungen sollten nicht nur wahrgenommen, sondern
auch abgelehnt werden. Sie sollten ohne Ausnahme kritisiert und es
sollte etwas gegen sie unternommen werden. Kirchen sollten für
Gerechtigkeit und Frieden einstehen und bei Israel als Besatzungsmacht
keine Ausnahme machen. Die christliche Sichtweise könnte uns
weiterhelfen, der christliche Glaube sei Grund zur Hoffnung.
Einzelne Äußerungen der Botschafterin auf Teilnehmerfragen in der
Diskussion:
Wenn die Verhandlungslösung gelinge, nähmen die beiden Staaten
zueinander Beziehungen auf und begännen ihr Verhältnis zu
normalisieren.
An der Ausarbeitung einer palästinensischen Verfassung müssten sich
auch die Christen beteiligen.
Die Hamas sei Teil der palästinensischen Gesellschaft, darum gebe es
auch Beziehungen der Christen zur Hamas, sie sei jedoch als Partei nicht
in das politische System integriert. Die Hamas sei gegen Wahlen, da sie
sie zurzeit nicht gewinnen würde. Es gelte, die Teilung Palästinas in Gaza
und Westbank aufzuheben und die Hamas in ein pluralistisches
demokratisches System zu integrieren.
In der Flüchtlingsfrage erwarte man die prinzipielle Anerkennung eines
Rückkehrrechts, verbunden mit einer pragmatischen Lösung: eine
geringe Anzahl nach Israel Zurückkehrender, eine große Anzahl nach
Palästina Zurückkehrender sowie ein Teil, der in den Flucht- bzw.
Geburtsländern verbleibe oder in andere Länder weiterwandere.
Palästina habe seiner Entmilitarisierung bereits zugestimmt. Israelische
Truppen am Jordan seien nicht akzeptabel, europäische, amerikanische
oder UN-Truppen schon.
Die die deutsch-palästinensischen Beziehungen seien seit vielen Jahren
gut, Deutschland finanziere viele palästinensische Vorhaben. Es nehme
eine deutliche Stellung gegen den Siedlungsbau ein, sehe aber auch
seine Beziehungen zu Israel als besondere an. Deutschlands politische
Unterstützung für Palästina sei ausbaufähig.
Ölbaum online Nr. 76 – 10. Februar 2014 – Dr. Michael Volkmann
Evangelisches Pfarramt für das Gespräch zwischen Christen und Juden,
Bad Boll
Ölbaum online Ausgaben sind durch eine leere E-Mail mit dem Betreff
„Bestellung Ölbaum online“ an agwege@gmx.de anzufordern und unter
http://www.agwege.de/cms/startseite/oelbaum-online/ einzusehen. Dort
finden Sie auch ein Inhaltsverzeichnis aller Ausgaben seit Nummer 1.
Bericht Delegiertenversammlung 2014