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KLAK-Jahrestagung 20.-24.1.12 in Berlin
„Reformationsjubiläum und christlich-jüdischer Dialog“
Grundinformationen: Die KLAK – „Konferenz landeskirchlicher Arbeitskreise
‚Christen und Juden‘ im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland“ –
ist der Zusammenschluss der von den deutschen evangelischen
Landeskirchen beauftragten Arbeitskreise für den christlich-jüdischen
Dialog. Jährlich veranstaltet sie ihre Delegiertenversammlung in Berlin. In
diesem Jahr nahmen 34 Delegierte aus 18 der 22 Mitgliedskirchen teil. Die
KLAK wurde 1978 gegründet. Ihr erster Vorsitzender (1978-2000), der
Hessen-nassauische Pfarrer Ulrich Schwemer, verabschiedete sich jetzt nach
34 Jahren Mitarbeit von den Delegierten. Von 2000 bis 2006 saß Pfarrer
Ricklef Münnich, jetzt Evangelischer Präsident des Deutschen
Koordinierungsrats der Gesellschaften für christlich-jüdische
Zusammenarbeit, der KLAK vor. Seit 2006 bin ich Vorsitzender, soeben für
weitere drei Jahre gewählt. Die theologischen Leitsätze der KLAK und
weitere Informationen und Fotos von ihrer Arbeit finden sich auf der
Homepage www.klak.org.
Das theologische Schwerpunktthema dieser Jahrestagung lautete
„Reformationsjubiläum und christlich-jüdischer Dialog“.
Seit 2008 bereitet sich die Evangelische Kirche in Deutschland auf das
500jährige Jubiläum von Martin Luthers Thesenanschlag in Wittenberg am
31.10.1517 vor (so genannte Lutherdekade http://www.luther2017.de/).
Dieses Ereignis gilt als Beginn der Reformation und ist damit von
weltgeschichtlicher Bedeutung. Für die Juden Europas brachte die
Reformation kein Ende der Unterdrückung. Daher stellt sich die Frage, wie
mit dieser und anderen Schattenseiten der Reformation angemessen
umzugehen ist. Grundlegende Neuerungen im Verhältnis von Christen und
Juden ereigneten sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine
weitere Frage ist, welche Bedeutung sie bei diesem Jubiläum einnehmen,
mehr noch: in welcher Weise Jüdinnen und Juden in die Lutherdekade
einbezogen werden. Diese und andere Fragen möchte die KLAK frühzeitig
bedenken und in die Lutherdekade einbringen.
Vortrag „Reformatorische Impulse aus der Hebräischen Bibel“ von Prof. Dr.
Frank Crüsemann, zusammengefasst von der KLAK-Schriftführerin Barbara
Eberhardt:
Frank Crüsemann setzte in seinem Vortrag bei der Herkunft des Wortes
Jubiläum an, das sich nicht vom lateinischen jubilare (jubeln)herleitet,
sondern vom hebräischen jovel. Das Jobeljahr ist das Jahr der Rückkehr zu
den ursprünglichen Land- und Lebensverhältnissen. Es bedeutet damit die
wirksame Wiederannäherung an das Geschenk Gottes, das letztendlich das
Geschenk der Freiheit ist. Beim Reformationsjubiläum sollte es daher
letztlich nicht wie bei den Feiern 1817 und 1917 um ein Bejubeln Martin
Luthers und der lutherischen Kirche gehen, sondern um eine
Wiederannäherung an das, was den christlichen Glauben ausmacht. Vieles,
was als Herz der Reformation gilt, musste gegen den Widerstand der
führenden Kreise wegen seiner biblischen Fundierung durchgesetzt werden.
Das 20. Jahrhundert war der Tiefpunkt der Wirkungen der Reformation,
aber durch das christlich-jüdische Gespräch geschah auch Neues. Heute gilt
es, für Kirche und Gemeinden deutlich und neu verpflichtend zu machen,
was und warum wir über die traditionell reformatorische Theologie hinaus
biblisch gelernt haben.
Theologische Veränderungen sind einerseits Korrekturen traditioneller
reformatorischer Theologie, stehen aber in der Linie der Reformation, indem
sie in der Bibel, und nur in der Bibel gründen. Den widersprüchlichen
Lernprozess und das, was wir über die reformatorische Tradition hinaus
gelernt haben, neu zu bündeln, sollte eine Aufgabe des kommenden
Jubiläums sein und würde dem biblischen Jobeljahr entsprechen. In diesem
Sinne unternahm der Referent den Versuch, von den Kernbegriffen der
reformatorischen Lehre her und in Aufnahme der Erfahrungen von Versagen
und Neuanfang im 20. Jahrhundert die biblische Grundlage neu zu
formulieren.
1. Sola Scriptura: An der Zuordnung von Altem und Neuem Testament
entscheiden sich alle anderen theologischen Themen. Gerade der Grundsatz
Luthers, dass die Schrift selbst ihre Auslegung prägt (scriptura sui ipsius
interpres), weist darauf hin, dass das Neue Testament nur im
Wahrheitsraum des Alten Testaments schriftgemäß verstanden werden
kann.
2. Solus Christus: Die Bezeichnungen Jesu im Neuen Testament kommen
alle aus der Schrift des Alten Testaments. Das spezifisch Neutestamentliche
ist die Bündelung und Bestätigung der alttestamentlichen Hoffnungen.
Damit sind wir hineingewiesen in die alttestamentliche
Hoffnungsgeschichte. Gut ausgedrückt findet sich dies im Weihnachtslied
von Dieter Trautwein: „Der immer schon uns nahe war, stellt sich als
Mensch den Menschen dar.“ (EG 56) Diese göttliche Fülle, die auch Israel
erfahren hat und die sich auch in den Psalmen findet, gibt es nicht in
anderen Mächten und Gewalten, sondern nur in Jesus Christus. Das Solus
Christus (Allein durch Jesus Christus) kann aber nicht gegen das Sola
Scriptura (Allein gegen die Schrift) gewendet werden.
3. Sola fide: Beim „Allein durch Glauben“ (Sola fide) ist die Kontinuität zur
Geschichte Israels unübersehbar. Für Martin Luther war der Psalter eine
Schule des Glaubens, für Paulus ist Abraham das große Vorbild des
Glaubens. Gottes Gerechtigkeit kommt nach Paulus (und Luther) aus dem
Glauben, der nicht ein Für-Wahr-Halten, sondern eine Lebenshaltung ist, die
sich selbstverständlich auch im Handeln äußert.
4. Sola gratia: „Im Glauben wird der Mensch zu der Person, die von Gott
anerkannt und so frei ist“, heißt es in den „Perspektiven für das
Reformationsjubiläum“. Frank Crüsemann kritisiert den Satz als
theologische Monstrosität, weil er letztendlich besagt, dass nur der
(christlich) Glaubende Mensch ist. Dominierend sei hier ein negatives
Menschenbild, das Nicht-Christen von der Gnade ausschließt. Dagegen
werden biblisch die Begriffe der Gottesebenbildlichkeit auch nach dem so
genannten Sündenfall noch auf den Menschen angewandt.
Die reformatorische Rechtfertigungslehre mit ihrer Konzentration auf Schuld
und Umkehr ist zutiefst biblisch, aber nur ein Ausschnitt aus einem
größeren Ganzen. Gott wendet sich den Menschen in ihren Nöten zu. Wie
man am Exodus sehen kann, ist die Not nicht auf Schuld bezogen. So ist es
auch in den Evangelien. Alles auf die Rechtfertigung des Sünders
abzustellen, ist eine Engführung, die dem biblischen Menschenbild nicht
gerecht wird.
An diesem biblischen Menschenbild hängt die wichtige Begegnung mit
anderen Religionen. Auch die Menschen anderer Religionen sind und bleiben
Ebenbilder Gottes. Von unseren Erfahrungen mit Gott her das Handeln
Gottes an allen und anderen Menschen zu entdecken, gehört zu dem Vielen
und Wichtigen, was wir aus der hebräischen Bibel lernen sollten. (Ich danke
Barbara Eberhardt für die Erlaubnis ihren Text hier wiederzugeben).
Vortrag „Luthers Judenfeindschaft – ein politisches Programm?“ von Prof.
Dr. Micha Brumlik
Der Referent stützt sich bei seiner Darstellung im Wesentlichen auf die
einschlägigen Untersuchungen von Thomas Kaufmann (Luthers
Judenschriften, Tübingen 2011) und Peter von der Osten-Sacken (Martin
Luther und die Juden, Stuttgart 2002). Für ihn ist die Beurteilung Luthers
abhängig von Julius Streichers Verteidigungsrede in den Nürnberger
Prozessen. Streicher, Gauleiter von Franken und Herausgeber der
antisemitischen NS-Zeitung „Stürmer“, behauptete damals, dass Luther,
lebte er noch, an seiner Stelle auf der Anklagebank sitzen würde. Zu
Unrecht würde man Luther des Massenmordes anklagen, liest Brumlik
hingegen bei Kaufmann. Das wäre zu überprüfen, so der Referent.
Judenpolitik war im 16. Jahrhundert immer auch Wirtschafts- und
Finanzpolitik, darum möchte Brumlik Luther als politischen Theoretiker
verstehen: Der theologische Bezug von Luthers politischem Denken
erschließe sich mit Hilfe von Römer 13,1, so Brumlik. Luther betone die
Freiheit politische Ämter ungehindert auszuüben. Entgegen der römisch-
katholischen Theorie von zwei Rechtskorpora (einem weltlichen und einem
geistlichen) sei nach Luther die weltliche Macht ein Teil Christi geworden.
Dies sei nicht Theokratie, sondern die konsequente Absage an jede
Theokratie, so Brumlik: Luther zufolge wolle Gott eine menschliche
Obrigkeit und dass die Menschen ihr willfährig seien. Von da her sei auch
Luthers Zorn über die aufständischen Bauern zu erklären. Luthers Zwei-
Reiche-Lehre besage, dass die weltliche Obrigkeit in ihrem Amt nicht
barmherzig sein könne, dass aber Gott gnädig sei und dass diese beiden
Reiche nicht zu vermengen seien. Das weltliche Regiment beziehe sich auf
äußere Dinge. Das christliche Innenleben einer Person habe keine
Verbindung zum öffentlichen Leben.
Die Ablehnung der Juden bei Luther ist Brumlik zufolge wirtschaftlich und
politisch motiviert, gegen sie könne jede Maßnahme ergriffen werden. 1525
habe Luther den Massenmord an Bauern gebilligt, gegen Juden wende er
sich erst 1543 in seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ ähnlich
vehement. Darin dämonisiere Luther die Juden konsequent als blutdürstig
und rachgierig, ihr Messias solle angeblich die ganze Welt ermorden. Daher
empfehle Luther in einem langen Maßnahmenkatalog gegen die Juden
„scharfe Barmherzigkeit“, rächen dürften sich Christen jedoch nicht an
ihnen. Die Juden sollten nach Luther spüren, dass sie nicht die Herren im
Land sind, sondern Verbannte. Sollten sie ungehorsam sein, müsse man sie
vertreiben. Brumlik erkennt in Luthers Auslassungen zwar keinen offenen
Vorschlag zur Ermordung, aber „sämtliche andere Maßnahmen, die die
Nazis durchgeführt haben“.
Luther wende sich mit seiner Schrift von 1543 an die christlichen
Landesherren, die er vor dem Volkszorn gegen die Juden warne und zur
Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung mahne, fuhr der Referent fort.
Die Juden seien Wucherer, die man enteignen müsse, denn sie seien
„Fremdlinge“. Luthers antirevolutionäre Angst gestatte der Obrigkeit alle
Durchgriffsrechte.
Weiter beschreibt Brumlik den wirtschaftspolitischen Hintergrund von
Luthers Forderungen: Schon 1524 schreibt Luther über „Kaufshandlung und
Wucher“. Negative Handelsbilanzen belasten die deutschen Länder mit
Schulden und Zinsen, daher fordert Luther u. a. ein Verbot von
Handelsgesellschaften. Juden sind gegen teure Bezahlung geduldet, bis sie
1544 durch kaiserliche Privilegien sicheres Geleit und Handelsschutz,
Schutz der Synagogen und Schutz vor Vertreibung erhalten. Die „Carolina“
gesteht Juden den Status als Rechtssubjekt zu. Luther jedoch verfolgt eine
verschärfende Tendenz, so Brumlik. Er fordere, Juden kein freies Geleit zu
gewähren, sondern sie unter Acht und Bann zu tun, so dass jedermann sie
straffrei töten darf. Brumlik sieht bei Luther eine indirekte Aufforderung
zum Mord, wenn dieser eine „scharfe Barmherzigkeit“ von der Art des Mose
in der Wüste fordert, als 3.000 erschlagen wurden, damit nicht „der ganze
Haufe“ verderbe. Es sei damals üblich gewesen, Juden als Hunde zu
bezeichnen, und aus dem 16. Jahrhundert sei eine Hinrichtungspraxis
bekannt, bei der ein Jude mit abwärts hängendem Kopf zwischen zwei
bissigen Hunden aufgehängt worden sei.
Luther kann, so Brumlik, die Konsequenzen seiner eigenen Theorie nicht
tragen. Die Ablehnung eines separaten christlichen Rechtsstatus zugunsten
eines einheitlichen Rechtsstatus in Verbindung mit dem frühneuzeitlichen
Territorialstaat sei charakteristisch für die lutherische Reformation. Diese
Konstellation eines totalen Staates, von Luther geprägt, sei in die
Begründung des NS-Staates eingegangen, so Brumlik, der seine These mit
einem Zitat des deutsch-christlichen Bischofs von Thüringen, Martin Sasse,
vom 23.11.1938 untermauert, in dem Sasse Luther als den größten
Antisemiten seiner Zeit preist. „Bei den Pietisten ging es anders, und dafür
kann man sie nicht genug loben“, sagte der Referent in der anschließenden
Diskussion. Er selbst, Brumlik, neige dazu, sein Vortragsthema ohne
Fragezeichen zu lesen und in Luthers Judenfeindschaft tatsächlich ein
politisches Programm zu sehen. Es seien jedoch weitere gründliche
Forschungen über den jeweiligen Rechtsstatus der Juden in den im 16.
Jahrhundert politisch sehr uneinheitlichen deutschen Gebieten notwendig.
Ein außerordentlicher Programmpunkt der KLAK-Jahrestagung war der
Vortrag von Prof. Dr. Israel Yuval zum Thema „Polemik von Christen und
Juden im 1. und 2. Jahrhundert“.
Yuval hat zu dieser Thematik das Buch „Zwei Völker in deinem Leib.
Gegenseitige Wahrnehmung von Juden und Christen in Spätantike und
Mittelalter“ (deutsch: Göttingen 2007) verfasst. Der israelische Historiker
hält sich zurzeit in Berlin auf.
Das Christentum als Religion, so begann Israel Yuval seinen Vortrag, habe
nichts mit Auschwitz zu tun. Auschwitz sei ein Phänomen des 20.
Jahrhunderts gewesen. Die mittelalterliche christliche Polemik gegen Juden
habe nicht zu Auschwitz geführt. Die mittelalterlichen europäischen Juden
hätten überlebt, so Yuval, weil die Christen sie gerade nicht ausrotten
wollten. Matthäus 27,25 („Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“)
habe sich ein Jahrtausend lang nicht ausgewirkt – erstmals seit den
Kreuzzügen 1096 n. Chr. wurde dieser Bibelvers zur Rechtfertigung für
Judenverfolgungen genommen. Neutestamentliche Polemiken gegen Juden
findet Israel Yuval überhaupt nicht schlimm. „Polemos“ heiße im
Griechischen „Krieg“, aber Polemik sei Gespräch – sofern sie festen Regeln
folge, sei sie eine Notwendigkeit, ein Segen. Ohne Polemik könnten Juden
sich nicht als Juden und Christen sich nicht als Christen verstehen. Identität
werde durch Polemik gefunden. Der Talmud sei Diskussion, Widerspruch,
Polemik, Keiner sei da mit dem anderen einverstanden. Juden und Christen,
so Yuval, hätten einen riesigen Vorteil: sie haben die Möglichkeit zusammen
zu lernen.
Das bisherige historische Bild vom 1. und 2. Jahrhundert besage, dass es
viel christliche Polemik gegen Juden gegeben habe, dass umgekehrt aber
bis zum 10. Jahrhundert kein Jude eine polemische Schrift gegen das
Christentum verfasst habe, denn man habe an dieser neuen Religion, einer
Abweichung vom Judentum, einer Häresie, kein Interesse gehabt. Dieses
Bild bezeichnet Israel Yuval als falsch: „Es gibt eine Bezugnahme auf das
Christentum in Talmud und Midrasch, aber nicht direkt.“ Die Texte verrieten
eine intime Kenntnis der jeweils anderen Seite.
Dann zeigte Yuval an zwei Textbeispielen ausführlich, was er mit seiner
Einführung gemeint hatte. Diese Texte aus dem Babylonischen Talmud und
aus dem Midrasch Pesikta Rabbati hier ausführlicher zu behandeln, würde
jedoch den Rahmen des „Ölbaum online“ sprengen. Nur mehr ein
abschließender Hinweis: In bSchabbat 116a-b findet sich die einzige Stelle
im ganzen Talmud, an der ein nichtjüdisches Buch zitiert wird, nämlich
Matthäus 5,17.
von Michael Volkmann
Auszug aus Ölbaum Online Nr. 58 vom 10.2.2012
Bericht Delegiertenversammlung 2012