von Michael Volkmann in Ölbaum Nr. 19/2007
Delegierte aus 18 evangelischen Landeskirchen trafen sich in Berlin-
Schwanenwerder zur Jahrestagung der "Konferenz landeskirchlicher
Arbeitskreise ‚Christen und Juden’" (KLAK, www.klak.org), deren Vorsitz
ich seit einem Jahr innehabe. Diese Tagungen haben eine interessante
Struktur. Einerseits wird ein theologisches Schwerpunktthema erarbeitet,
in diesem Jahr "Sühne – Opfer – Abendmahl", andererseits wird viel Zeit
in den internen Austausch, für Gruppenarbeit, Regionalgruppensitzungen
und in die Planung gemeinsamer Projekte investiert (wie die Reihe KLAK-
Impulse, die im Verlag Erev-Rav erscheint. Zusätzlich findet immer ein
Besuch in einer Berliner Einrichtung, z. B. einer jüdischen Gemeinde oder
einem Museum, statt, in diesem Jahr in der konzeptionell aktualisierten
Gedenkstätte "Haus der Wannsee-Konferenz" . Außerdem bieten diese
Tagungen die Möglichkeit zu persönlicher Begegnung und zu gemeinsam
gelebter Spiritualität. So feierte gleich zu Beginn am Freitag Abend
Rabbiner Dr. Jonathan Magonet vom Leo Baeck College in London Kabbalat
Schabbat mit uns. Die Morgenandachten und der Abendmahlsgottesdienst
am Sonntag wurden von Delegierten gestaltet.
Die theologische Arbeit war einem umstrittenen Thema gewidmet, der
Sühnopfer-Theologie. Einige Theolog/innen treten dafür ein, die
Vorstellung vom Sühnetod Christi für unsere Sünden fallen zu lassen. Die
wesentlichen Gründe: diese Vorstellung sei aufgeklärten Menschen nicht
mehr vermittelbar; vor allem Frauen hätten unter ihr zu leiden gehabt.
Andere halten an dieser Vorstellung fest, wie die bei der KLAK
auftretenden, im christlich-jüdischen Dialog engagierten Referenten, und
versuchen sie im Dialog zwischen Christen und Juden tiefer zu verstehen.
Die Komplexität des Themas wurde gleich im ersten Vortrag von Jonathan
Magonet deutlich, der über Sühne- und Sündenvorstellungen im Judentum
vor und nach der Tempelzerstörung sprach. Das Judentum habe nicht nur
viele Begriffe zur genauen Spezifizierung von Sünde, sondern biete durch
Umkehr, Vergebung und Versöhnung auch Wege an, das Problem falschen
Verhaltens und seiner Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft zu
lösen. Manche, nicht alle, Opfer im Tempel hätten hier ihre Bedeutung.
Nach der Tempelzerstörung hätten die Rabbinen Elemente des
Tempelgottesdienstes demokratisiert und domestiziert, d. h. sie haben
einen opferlosen Gottesdienst in ihr "kleines Heiligtum" an ihrem
Familientisch verlegt. Gottesdienst, Gebet, Toralernen und Wohltätigkeit
seien zum Ersatz für Opfer geworden.
Prof. Wolfgang Kraus sprach über den Opfertod im Neuen Testament. In
kritischer Auseinandersetzung mit Herbert Schnädelbachs These (in: Die
ZEIT Nr. 20/2000), das Christentum sei desto blutiger, je authentischer es
sei, betonte er, nicht Gott, sondern Menschen verschiedenster
Religionszugehörigkeit verlangten Opfer, um sich von der fortzeugenden
Kraft ihrer Sünden zu befreien. Nicht nur die Bedeutungen von Opfern
seien vielfältig, sondern auch die Deutungen des Todes Jesu im Neuen
Testament. Wichtig sei es, diese Deutungen als metaphorische Rede zu
verstehen, welche die Bedeutung von Gottes Handeln in Jesu Tod
hervorheben wollten. Im Hauptteil seines Vortrags fragte Kraus anhand
einer detaillierten Textanalyse nach der Bedeutung kultischer Sühne im
Neuen Testament, vor allem in der paulinischen Theologie. Der Tod Jesu
sei äußerlich nicht als Heil verstehbar, resümierte er seine Ausführungen,
sondern nur auf Grund der Auferstehung. Die Sühnetodvorstellung könne
als eine von mehreren möglichen Deutungen des Todes Jesu für manche
Menschen ungeeignet erscheinen. Doch gehe es nicht darum, sie
deswegen aufzugeben, sondern darum, Menschen zu einem sachgemäßen
Verständnis zu führen.
Alexander Deeg hält die Opfer-Metapher für unverzichtbar, darum gelte es,
sie wieder zu gewinnen. Opfer spielten im Judentum eine große Rolle und
seien daher auch wichtiges Thema im christlich-jüdischen Gespräch. Deeg
legte die Spiritualität des Opfers im Judentum dar, indem er die bereits
von Magonet genannten Aspekte vertiefte. Mit Hilfe der Buber-
Rosenzweigschen Übersetzung des rabbinischen Oberbegriffs Qorban
(Opfer) als "Nahung" assoziiert Deeg das Opfer als Ort der
Gottesbegegnung und des verheißungsvollen menschlichen Handelns in
Kooperation mit Gott. Im Abendmahl werde die Nahung Gottes in Jesus
Christus beschreibbar.
Die Vorträge, die auf hier nur sehr verkürzt eingegangen werden kann,
verlangten den Zuhörern einiges ab. Ein erstmals teilnehmender
Delegierter, Studienleiter einer Evangelischen Akademie, bemerkte, eine
theologische Arbeit auf einem so hohen Niveau in den vergangenen acht
Jahren nicht erlebt zu haben.